Hören Sie zum Thema Entscheidungsfindung das Interview mit Carola Hoffmann.
Warum fällt es uns so schwer Entscheidungen zu treffen?
Entscheidungen stehen immer wieder an, sei es die Entscheidung, was wir zu Abend essen, wann wir ins Bett gehen oder ob wir ein Jobangebot annehmen. Bei manchen
Entscheidungen gibt es eine klare Präferenz, eine Option erscheint uns viel besser als die andere und es fällt uns leicht, uns zu entscheiden. Manchmal aber fällt es uns so schwer eine Entscheidung zu treffen, dass wir sie immer weiter hinauszögern, in der Hoffnung, dass sich die Angelegenheit von alleine löst oder jemand anderes uns die Entscheidung abnimmt. Aber warum fällt es uns überhaupt so schwer eine Entscheidung zu treffen?
Die Angst vor Verlust und Veränderung durch persönliche Entscheidungen
Am schwierigsten fällt es uns meist, wenn wir Entscheidungen treffen müssen, die große Veränderungen mit sich bringen. Denn Veränderungen bedeuten Ungewissheit und
Unsicherheit. Wir müssen etwas Gewohntes loslassen, etwas, was vielleicht einfach bequem war, vielleicht aber auch gut und ganz besonders wertvoll. Tatsächlich werden
unsere Entscheidungen unbewusst auch von etwas beeinflusst, woran wir meist gar nicht so denken: Vertrautheit. Psychologen der Universität des Saarlandes konnten zeigen, dass wir bei Entscheidungen tendenziell eher die vertrautere Alternative wählen. Innerhalb kürzester Zeit überprüft unser Gehirn welche Alternative uns bekannter vorkommt noch bevor wir uns an damit verknüpfte Informationen erinnern. Auf Basis der Aktivierungsmuster im Gehirn konnten die Forscher sogar die Entscheidungen der Probanden vorhersagen.1
Die Angst vor Reue und Bedauern bei der Entscheidungsfindung
Müssen wir eine Entscheidung treffen, kreieren wir diverse mögliche Szenarien, die aus den verschiedenen Möglichkeiten resultieren könnten. Bei der Entscheidung für eine bestimmte Eissorte lassen sich die möglichen Konsequenzen einfach voraussagen, ganz anderes sieht es bei größeren Entscheidungen wie der Wahl des Studiengangs oder der Arbeitsstelle aus. Kein Wunder also, dass uns diese Entscheidungen nicht leicht fallen.
Oft quält uns die Angst, dass wir es bereuen könnten, wenn wir uns für die eine Option anstelle der anderen entscheiden. Die Ungewissheit, was uns in der Zukunft erwartet, ob wir mit unserer Wahl zufrieden sein werden oder nicht, lähmt uns und behindert uns bei der Entscheidung.
Ergebnisse aus der Forschung deuten aber daraufhin, dass wir uns im Vorfeld unser Bedauern weitaus größer vorstellen, wenn etwas nicht ganz so läuft, wie wir uns das erhofft hatten, als es dann letztendlich tatsächlich ist 2. Trotzdem kann es schwer sein, mit einer „falschen“ Entscheidung zu leben, manche Entscheidungen belasten einen sein Leben lang. In Gedanken hängen wir der vermeintlich besseren Option nach, machen uns Vorwürfe, weil wir uns falsch entschieden haben. Dieser emotionale Stress kostet Kraft und fortdauernder Stress kann unser Immunsystem schwächen (z.B. Cohen et al., 1991)3.
Wie also können wir besser mit falschen Entscheidungen klarkommen?
Hilfreich kann es sein, dass wir uns aktiv bewusst machen, wieso wir diese Entscheidung getroffen haben, welche äußeren Umstände dazu beigetragen haben, dass wir die Option in dem Moment für die richtige gehalten haben. Auch wenn sich die Entscheidung im Nachhinein als die falsche herausgestellt haben mag, hatten wir doch triftige Gründe dafür uns so zu entscheiden, wie wir es getan haben. Diese Gründe wieder ins Gedächtnis zu rufen kann dabei helfen, mit Fehlentscheidungen klarzukommen.6
Eine Art „psychisches Immunsystem“ unterstützt uns nach Ansicht einiger Psychologen außerdem dabei uns falsche Entscheidungen leichter zu akzeptieren. Handeln wir auf eine Art und Weise, die nicht unser Selbstkonzept passt, fühlen wir uns unwohl. Dieses Unwohlsein bezeichnet Leon Festinger als kognitive Dissonanz.4 Nach seiner Theorie versuchen wir die das Unwohlsein, welches wir aufgrund kognitiver Dissonanz erleben, zu verringern, damit wir uns wieder wohler fühlen. Ein solches Unwohlsein kann auch nach dem Treffen von Entscheidungen auftreten, die sogenannte Nachentscheidungsdissonanz.
Nachentscheidungsdissonanz – Entscheidungsfindung mit Vergangenheit
Diese ist umso größer, je wichtiger und je dauerhafter und schwerer widerrufbar die Entscheidung ist. Die Entscheidung für oder gegen den Kauf eines neuen Oberteils ist wesentlich weniger wichtig und einfacher rückgängig zu machen als beispielsweise die Entscheidung für eine Heirat. Um unsere Dissonanz nach einer Entscheidung zu verringern, ändern wir etwas an unseren Gefühlen, die wir in Bezug auf die gewählte und die nicht gewählte Option haben.
So wurden in einer Studie mehrere Frauen darum gebeten die Attraktivität verschiedener Küchengeräte zu bewerten. Anschließend wurde ihnen mitgeteilt, dass sie eines der Produkte als Entlohnung behalten dürfen und zwei Geräte gezeigt, deren Attraktivität sie selbst als gleich hoch eingestuft hatten. Nachdem die Frauen sich für eines der Geräte als Präsent entschieden hatten, sollten sie erneut die Attraktivität aller Produkte einstufen. Es zeigte sich, dass sie die Attraktivität des Gerätes, dass sie als Belohnung ausgewählt hatten, also attraktiver einstuften als bei der ersten Bewertung und jenes Gerät, gegen welches sie sich entschieden hatten, als weniger attraktiv als zuvor. 5
Wir werten also unbewusst die nicht gewählte Option weiter ab und die gewählte Option auf. Wie Daniel Gilbert, ein Forscher der Harvard University, herausgefunden hat, nehmen wir die Welt so wahr, wie sie für uns angenehmer ist. Haben wir eine Entscheidung getroffen, die im Nachhinein doch nicht so klug gewesen zu sein scheint, heben wir die positiven Aspekte dieser Entscheidung weiter hervor, um die falsche Entscheidung nicht so sehr zu bereuen. Laut Gilbert gelingt das am besten, wenn wir die Entscheidung auf Grundlage unserer Gefühle getroffen haben, denn diese Entscheidungen werden weniger bereut als durchdachte Entscheidungen. Am meisten aber bereuen wir Chancen, die wir verpasst haben. 6
Entscheidungsfindung mit Herz oder Kopf?
Bei all den kleineren Entscheidungen im Alltag und auch den größeren Entscheidungen im Leben: sollten wir uns jetzt auf Herz oder auf Kopf verlassen? Sollten wir auf unser Gefühl hören, dass uns sagt Schokolade zu essen oder auf dem Sofa liegen zu bleiben oder auf unseren Verstand, der uns sagt, dass wir vielleicht lieber ein Stück Obst essen oder arbeiten sollten? Die beste Lösung ist eine Entscheidung auf der Basis von beidem zu treffen. Man stellt sich vor, welche positiven und negativen Konsequenzen eine Option führen könnte und auch wie man sich in diesen Situationen fühlen würde. 6
Blogbeitrag geschrieben und Recherchiert von Lea Schwindt (B.Sc. Psychologie) 18.03.2021
1. Rosburg, T., Mecklinger, A., Frings, C. (2011). When the brain decides: A familiarity based approach to the recognition heuristic as evidenced by event-related brain
potentials. Psychological Science 22(12), 1527-1534. https://doi.org/10.1177/0956797611417454
2. Gilbert, D.T., Morewedge, C.K., Risen, J. L. & Wilson, T. D. (2004). Looking forward to looking backward: The misprediction of regret. Psychological Science, 15(5),
346-350. https://doi.org/10.1111/j.0956-7976.2004.00681.x
3. Cohen, S., Tyrell, D. A., Smith, A.P. (1991). Psychological stress and susceptibility to the common cold. The New England journal of medicine. 325(9), 606-612.
DOI: 10.1056/NEJM199108293250903
4. Festinger, L. (1957). A theory of cognitive dissonance. Stanford University Press.
5. Brehm, J. W. (1956). Post-Decision Changes in the Desirability of Alternatives. Journal of Abnormal and Social Psychology, 52, 384-389. https://doi.org/10.1037/h0041006
6. Heinrich, C., Hürter, T., Schramm, S., Wüstenhage, C. (2011, Oktober). Die Kunst der Entscheidung. Zeit online. https://www.zeit.de/zeit-wissen/2011/06/Entscheidungen/seite-8