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Erziehungsfähigkeit

Was meint der Begriff „Erziehungsfähigkeit“?

Der Begriff der Erziehung wird hier definiert als jegliche Interaktion und Wechselwirkung zwischen Eltern und Kind. Dies schließt sowohl geplante bewusste Interaktionen ein als auch unbewusste Einflüsse und Verhaltensmuster sowie das Unterlassen von Interaktionen/Nicht-handeln. Erziehungsfähigkeit setzt sich aus zwei wesentlichen Komponenten zusammen:

Komponente Erziehungseinstellung

Erziehungsziele und -Einstellungen, die sich durch Wissen und Kenntnisse zum Thema Erziehung gebildet haben.

Dieses Wissen kann beispielsweise von den eigenen Eltern übertragen oder sich durch Literatur oder Austausch mit anderen angeeignet worden sein. Erziehungsziele können z.B. Leistungsorientierung oder Kreativität sein, Individualität, soziale Konformität oder Bildung. Sie beinhalten also Erwartungen und Forderungen an das Kind und die Entwicklung des Kindes.

In den Augen der Eltern positive Eigenschaften sollen gefördert, negative Eigenschaften beschränkt werden. Erziehungseinstellungen beziehen sich auf verschiedene Bereiche die mit dem Thema Erziehung zu tun haben. Sie können das Kind selbst betreffen, wie bspw. das Interesse am Kind und die Einstellung zu Emotionalität, oder sie können Erziehungsmaßnahmen betreffen, z.B. bezüglich Strafintensität und Verständnisbereitschaft. Auch Einstellungen zu allgemeinen Themen, wie weltanschauliche oder moralische Fragen, können auf das Kind einwirken.

Komponente Erziehungsverhalten

Das Erziehungsverhalten, welches diese Ziele und Einstellungen umsetzt und dabei stets dem Kindeswohl dient. Kindeswohldienlich bedeutet hier, die allgemeinen Grundbedürfnisse (z.B. Nahrung, emotionale Wärme) und die akuten durch den Entwicklungsstand bedingten Bedürfnisse des Kindes zu erfüllen. Die individuellen Bedürfnisse eines Kindes können sehr unterschiedlich sein – man bedenke z.B. geistige oder körperliche Behinderungen.

Auch das Temperament eines Kindes hat Einfluss auf die Bedürfnisse und die Anforderungen an die Erziehung. Das Erziehungsverhalten sollte in der Interaktion mit dem Kind (nicht als starr von außen einwirkend) und mit persönlichen Kompetenzen ausgeführt werden.

Kompetenzen Feinfühligkeit, Fürsorglichkeit und Stabilität

Feinfühligkeit meint die Fähigkeit, die Signale und Bedürfnisse des Kindes zügig wahrzunehmen, richtig zu interpretieren und dann angemessen auf diese zu reagieren. Wenn ein Baby beispielsweise vor Hunger schreit, sollte die Mutter sich dem Kind unverzüglich zuwenden, den Grund des Schreiens erkennen und das Baby stillen. Diese Fähigkeit ist eine wichtige Voraussetzung für eine sichere Bindung des Kindes.

Die Kompetenz der Stabilität beschreibt ein stabiles, das heißt vorhersehbares und konsequentes Verhalten der Eltern gegenüber dem Kind.

Das Kind hat durch diese Zuverlässigkeit die Möglichkeit, sein eigenes Verhalten in einem sicheren Rahmen einzuordnen. Ein Beispiel für stabiles Erziehungsverhalten ist eine immer gleichbleibende Konsequenz auf ein kindliches Fehlverhalten. Wenn das Kind sich also immer wieder weigert, die Schuhe anzuziehen, bevor es zum Kindergarten geht, sollten die Eltern jedes Mal auf dieselbe konsequente Weise reagieren. Dadurch lernt das Kind mit der Zeit, sein Verhalten zu ändern. Inkonsequente Strafen gegenüber dem Kind sind hingegen nicht hilfreich, um eine Verhaltensänderung herbeizuführen.

Erziehungsfähigkeit durch Förderkompetenz, Bindungstoleranz und Kooperation

Wichtig ist, dass die Ziele und das Verhalten stets an den individuellen Bedürfnissen und Fähigkeiten des Kindes orientiert sind. Somit ist Erziehungsfähigkeit immer nur zu einem Zeitpunkt und auf einen Einzelfall bezogen zu betrachten! Erziehungsfähigkeit meint konkret auch:

  • Förderkompetenz, also die Fähigkeit, das Kind bei der Bewältigung von Entwicklungsaufgaben (z.B. Sprechen lernen) zu unterstützen. Dabei ist die Passung zwischen dem Förderangebot und dem Entwicklungsstand des Kindes wichtig. Einem 6 Monate altem Kind wird man selbst bei der besten Förderung kein Sprechen beibringen können.
  • Bindungstoleranz – die Einsicht, dass es für das Kind am förderlichsten ist, wenn es eine positive Bindung zu beiden Elternteilen hat, und das aktive Möglich-machen dieser Bindung. Dies ist besonders relevant bei getrenntlebenden Eltern. Oftmals instrumentalisieren Elternteile das Kind in ihrem Kampf gegen das andere Elternteil und schwärzen den anderen beim Kind an. Dies führt zu einem Instabilitätserleben des Kindes, was zu Unsicherheit führt und nicht dem Kindeswohl entspricht.
  • Kooperation zwischen den Elternteilen, also die Umsetzung bzw. Ermöglichung der Bindung zum anderen Elternteil sowie die Fähigkeit zum treffen von und halten an Absprachen bezüglich gemeinsamer Erziehung, das an-einem-Strang-ziehen.
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Unfähigkeit in der Erziehung?

Erziehung ist nie pauschal als gut oder schlecht bewertbar. Die Erziehungsfähigkeit bewegt sich auf einem Kontinuum und ist ganz individuell von den Eltern, dem Kind, der Passung zwischen beiden und der allgemeinen Situation abhängig. Es gibt nicht DIE eine richtige Art der Erziehung. Die hier beschriebenen Maßstäbe geben ein perfektes Ultimum wieder, was nicht bedeutet, dass bei Abweichungen sofort ErziehungsUNfähigkeit vorliegt. Das Gesetz gibt wenige Vorgaben zu diesem Thema.

Lediglich kindeswohlgefährdende Verhaltensweisen eines Elternteils, wie psychische oder physische Gewaltanwendung gegenüber dem Kind oder auch anderen Personen im Umfeld des Kindes, wie dem anderen Elternteil, können ein psychologisches Urteil über die Erziehungsfähigkeit rechtfertigen und ggf. rechtliche Schritte nach sich ziehen.

Wie kann ich Erziehungsfähigkeit messen?

Erziehungsfähigkeit ist ein Konstrukt, also eine Theorie die Menschen sich ausgedacht haben. Beobachten kann man es zum Beispiel anhand manifester Ausprägungen, wie dem Erziehungsverhalten. Dafür werden oft Verhaltens- und Interaktionsbeobachtungen durchgeführt. Das heißt, ein Sachverständiger beobachtet die Eltern in der Interaktion mit dem Kind, zu Hause oder auch in anderen Umfeldern. Ebenfalls relevant ist die Erfassung der nicht direkt beobachtbaren Merkmale, wie den Erziehungseinstellungen und Kompetenzen der Eltern. Diese können durch ein Explorationsgespräch oder auch durch psychologische Tests ans Tageslicht gebracht werden.

Psychologische Tests erfassen in diesem Kontext bspw. Persönlichkeitsstile und -Störungen der Eltern, die Belastung und Belastbarkeit der Elternteile und die Bindung des Kindes zu beiden Elternteilen. Die Wahrnehmung und der Wille des Kindes können bei der Beurteilung ebenfalls eine Rolle spielen.

Allerdings ist dabei zu beachten, dass die Wahrnehmung durch z.B. Loyalitätskonflikte verfälscht sein kann, und der Wille des Kindes nicht immer aus dem Kind selbst entspringt, wenn zum Beispiel ein Elternteil emotionalen Druck ausübt.

Je nach Alter des Kindes ist der Wille des Kindes kritisch zu betrachten, da zum Beispiel der Wille eines Teenagers, den ganzen Tag Videospiele spielen zu wollen, nicht den tatsächlichen Bedürfnissen und Entwicklungsanforderungen des Kindes entspricht. Unter Umständen sind auch die Einschätzungen Dritter wie Betreuungspersonen oder Lehrern aufschlussreich um die Erziehungsfähigkeit zu beurteilen. Insgesamt sollte ein Urteil über die Erziehungsfähigkeit auf eine breite Basis aufbauen und sich nie auf nur eine Art der Erfassung verlassen. Das Kindeswohl steht bei der Entscheidung immer an oberster Stelle.

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